Athene-Preisverleihung 2019 – Studentischer Redebeitrag
Am 27. November stand dieses Jahr wieder der Tag der Lehre und mit ihm die Verleihung der Athene Preise für gute Lehre an. Im Rahmen der Preisverleihung ist jedes Jahr auch eine studentische Rede vorgesehen. Diese wurde diesmal von Julian von FACHWERK gehalten. Ihr findet sie im Folgenden noch einmal in schriftlicher Form:
Liebe Zuhörer*innen,
das Thema des heutigen Tag der Lehre war die Entwicklung und Qualitätssicherung von Studiengängen. Ein Thema, welches mich schon lange an der TU Darmstadt begleitet, denn ich war viele Jahre Mitglied des Senates und des Senatsausschusses für Studium und Lehre. Dort habe ich miterlebt, wie die TU Darmstadt von der externen Programmakkreditierung auf ein internes Akkreditierungssystem umgestiegen ist. Im Zuge dieser sogenannten Systemakkreditierung haben wir viel diskutiert, wie genau dieses interne System aussehen soll. Wie wollen wir in Zukunft unsere Studiengänge entwickeln? Oder viel wichtiger: nach welchen Kriterien bewerten wir diese Studiengänge? Was macht einen guten Studiengang aus und (in Anlehnung an den Athene Preis): Was ist eigentlich gute Lehre?
Durch die Systemakkreditierung haben wir als TU Darmstadt viele Freiheiten gewonnen, wenn es darum geht, eigene Antworten auf diese Fragen zu finden. Doch wie wir alle wissen: „aus großer Macht folgt große Verantwortung“.
Und genau über diese Verantwortung möchte ich heute sprechen.
Eine Universität ist nicht nur eine Forschungseinrichtung. Sie ist vor allen Dingen eine Bildungseinrichtung. Damit kommt ihr eine große gesellschaftliche Verantwortung zu, denn die Studierenden, die heute in dieser Universität ausgebildet werden, sind die Menschen, die morgen unsere Gesellschaft mitgestalten. Sie sind es, die die großen Probleme von morgen lösen müssen. Und Probleme gibt es wahrlich genug. Sei es die aktuelle Klimakrise, die weltweit aber auch in Deutschland wachsende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit oder die fehlende Gleichstellung aller Geschlechter. All dies sind Probleme, die die vereinten Nationen in ihren Sustainable Development Goals ansprechen und die es zu lösen gilt. Und das besser heute als morgen.
Die TU Darmstadt hat damit als Universität nicht nur einen fachlichen Bildungsauftrag, sie hat auch eine wichtige Aufgabe bei der Persönlichkeitsentwicklung ihrer Studierenden. Eine Erkenntnis, die leider viele unserer Lehrveranstaltungen immernoch vermissen lassen. Viel zu selten werden Studierende angehalten, ihre eigene Rolle und die Rolle ihrer Fachdisziplin in der Gesellschaft zu reflektieren. Es geht mir dabei nicht nur um einzelne Lehrveranstaltungen, auch in den meisten unserer Studiengänge fehlen entsprechende Konzepte. So ist der Maschinenbau, meines Wissens nach der einzige ingenieurwissenschaftliche Studiengang an der TU Darmstadt, der mit dem Modul „Ingenieurwissenschaft und Gesellschaft“ alle Studierenden des Fachs verpflichtend zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ethischen und gesellschaftlichen Implikationen des eigenen Fachs anregt.
Andere Studiengänge lassen die Studierenden hier alleine. Zwar ist es mittlerweile in den meisten unserer Studiengänge durchaus möglich, entsprechende Module etwa des Fachbereichs Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften zu belegen, doch dies ist ganz allein den Studierenden überlassen und gestaltet sich nicht immer einfach. Die fachübergreifenden Wahlbereiche sind oft klein und oft schon durch das Besuchen eines einzigen Sprachkurses ausgefüllt.
Wir als TU Darmstadt sehen uns als sehr interdisziplinäre Universität und an vielen Stellen sind wir das auch. Es gibt etliche Projekte, bei denen unsere Fach- und Studienbereiche zusammenarbeiten, doch diese Interdisziplinarität darf auch an einer technischen Universität nicht bedeuten, dass sich Geisteswissenschaftler*innen um die gesellschaftlichen Fragen kümmern und Techniker*innen um die technischen. Gesellschaftliche Verantwortung geht uns alle etwas an und diese ist nicht durch den Besuch eines einzigen kritischen Moduls an einem anderen Fachbereich abgedeckt.
Bei all der Kritik gibt es natürlich gibt es auch positive Beispiele. So vergeben wir heute beispielsweise die Athene-Sonderpreise für „Gender‐und Diversity‐sensible Lehre“ und für „Interdisziplinäre Lehre“. Ein wichtiges Instrument, denn es ist ein Anreiz für weitere Lehrprojekte in diese Richtung. Gleichzeitig sind die Preise ein wichtiges Zeichen von Wertschätzung für die vielen tollen Projekte, die es auch jetzt schon gibt. Gerade in diesem Jahr fiel es uns schwer, unter den Einsendungen eine Auswahl zu treffen, da wir eigentlich der Meinung waren, dass mehrere Projekte den Preis verdient hätten. Für die Stiftung dieser Preise möchte ich an dieser Stelle auch nochmal ganz herzlich der Carlo und Karin Giersch-Stiftung danken.
Darüber hinaus sind weitere Positivbeispiele hervorzuheben: IANUS, das Forum für interdisziplinäre Forschung, die interdisziplinären Studienschwerpunkte, verschiedene Ringvorlesungen und die autonomen Tutorien des AStA. Sie alle thematisieren die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft in Forschung und Lehre. Projekte wie diese haben an der TU Darmstadt eigentlich eine lange Tradition und so gehört die TU unter anderem zu einer der ersten deutschen Hochschulen, die neben einer Zivilklausel auch ein detailliertes Umsetzungsverfahren verabschiedet hat.
Für den*die Durchschnittsstudierenden sind diese Bestrebungen allerdings oft nahezu unsichtbar. Die meisten stolpern im Laufe ihres Studiums höchstens zufällig über die Zivilklausel und auch der Besuch von Ringvorlesungen oder Tutorien lässt sich oft schlecht mit dem Studium vereinbaren. Diese Veranstaltungen sind selten mit CP vergütet oder lassen sich schlicht nicht im Wahlkatalog des eigenen Studienganges einbringen. Angesichts von Bafög Zeitbegrenzungen und einem generell gesellschaftlich wachsenden Druck, doch möglichst schnell fertig zu studieren, lassen sich solche „Blicke über den Tellerrand“ oft nicht mehr in die Studienplanung einbauen.
Nicht nur die Gesellschaft fordert dabei glatte Lebenläufe, auch in der Universität hat und im Senatsausschuss werden häufig Regelungen gefordert, die die Studierenden auf Kurs halten sollen. Dazu gehören verpflichtende Anmeldungen zu Prüfungen, Einschränkungen beim Wechseln von Wahlmodulen und mindest CP-Grenzen, die es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erreichen gilt.
Diese Hürden müssen wir abbauen. Gleichzeitig dürfen wir uns aber auch nicht allein auf die lobenswerte Eigeninitiative von Einzelnen verlassen. Um der gesellschaftlichen Verantwortung der Universität und ihrem Bildungsauftrag wirklich gerecht zu werden, braucht es strukturierte Lösungen auf Studiengangsebene, die das Thema für alle präsenter machen.
Ich würde meine Rede gerne mit einem passenden Zitat von Eugen Kogon schließen, der 1951 als Professor an die TU Darmstadt berufen wurden und damit zu den Gründungsmitgliedern der hiesigen Politikwissenschaft gehört. Dieser schreib bereits 1976:
„Ich war, solange ich an der Technischen Hochschule Darmstadt lehrte, der Meinung, daß es richtig sei, das natur- und das ingenieurwissenschaftliche Studium zumindest durch Einführungsvorlesungen in Soziologie und Politologie zu ergänzen; ich bin jetzt der Meinung, allein schon Ökologie würde genügen, das zu erreichen, worauf es ankommt: den Studierenden […] den Sinn für die zivilisatorischen Zusammenhänge und die Existenzprobleme von heute zu bilden.“ (Eugen Kogon, Die Stunde der Ingenieure. Technologische Intelligenz und Politik., 1976)
In diesem Sinne möchte ich vor allem die anwesenden Dozierenden noch einmal einladen, über das Thema gesellschaftliche Verantwortung in Ihren Lehrveranstaltungen und besonders bei der Studiengangsentwicklung nachzudenken. Gleichzeitig möchte ich allen Preisträger*innen noch einmal gratulieren und Ihnen für Ihr Engagement danken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bild © Claus Völker